

Wer A sagt, muss auch B sagen
Die Widersprüchlichkeiten der Unterstützung in der deutschen Bevölkerung für die Ukraine
AuthorLeonard Schütte
AuthorLeonard Schütte
Key Points
Jüngste Umfrageergebnisse zeugen von einem klaren Bewusstsein innerhalb der deutschen Bevölkerung, dass ein russischer Sieg verheerende Folgen für die Ukraine und Europa hätte. Die Deutschen scheinen aber nicht bereit zu sein, die konkreten politischen Maßnahmen zu unterstützen, die sich aus dieser Bedrohungswahrnehmung ableiten.
Über alle Parteigrenzen hinweg ist die Bereitschaft, die Ukraine mit mehr schweren Waffen als bisher zu beliefern und mehr ukrainische Kriegsgeflüchtete aufzunehmen, seit Mai 2022 zurückgegangen. Doch die Meinungsunterschiede zwischen den Anhänger:innen der verschiedenen Parteien sind enorm.
Der Referenzpunkt, auf den sich die Frage nach verstärkter Unterstützung bezieht, hat sich deutlich verändert. Deutschland ist nach anfänglicher Zögerlichkeit zum wichtigsten Partner der Ukraine nach den USA geworden. Dennoch fällt auf, dass die deutschen Zustimmungswerte zu verstärkter Unterstützung im internationalen Vergleich gering sind.
Angesichts der sicherheitspolitischen Bedrohungslage muss Deutschland eine größere Führungsrolle übernehmen und sollte seinen Beitrag nicht an anderen Ländern, sondern am Ziel ausrichten, dass die Ukraine gewinnt.
Nach anfänglicher Zögerlichkeit ist Deutschland zum wichtigsten Partner der Ukraine nach den USA geworden. Die Zahlen des Ukraine Support Tracker des Kiel Instituts für Weltwirtschaft belegen, dass Berlin mit etwa 21 Milliarden Euro, die bis Ende Oktober 2023 angekündigt wurden, mit Abstand der wichtigste europäische Unterstützer der Ukraine ist.[1] Ende 2023 beschloss die Bundesregierung zudem, die Militärhilfen für die Ukraine für 2024 auf acht Milliarden Euro zu verdoppeln. Anfang Januar appellierte Bundeskanzler Olaf Scholz an andere EU-Mitgliedstaaten, „ihre Anstrengungen zugunsten der Ukraine ebenfalls zu verstärken.“[2] Auch beim EU-Sondergipfel Anfang Februar drängte Scholz darauf, dass die EU-Mitgliedstaaten „alles in ihrer Macht stehende tun, um die Ukraine zu unterstützen.“[3] Gemessen am BIP ist der deutsche Beitrag allerdings weniger beeindruckend. Laut Ukraine Support Tracker stellen 13 Länder umfassendere bilaterale Hilfen als die Bundesrepublik zur Verfügung, wenn man sie ins Verhältnis zur jeweiligen Größe der Volkswirtschaft setzt.
Nichtsdestotrotz wird die Rolle Deutschlands in der Ukraine immer positiver gesehen, was vermutlich auch damit zusammenhängt, dass von Deutschland gelieferte Waffensysteme – wie das Flugabwehrraketensystem Iris-T oder der Flakpanzer Gepard – sich als besonders effektiv erwiesen haben.[4] Laut einer exklusiven Meinungsumfrage, die im Oktober und November 2023 von Kekst CNC für die Münchner Sicherheitskonferenz durchgeführt wurde, bewerten 70 Prozent der befragten Ukrainer:innen die deutsche Reaktion auf den Einmarsch Russlands positiv. 2022 waren es nur 57 Prozent.
Sicht der Deutschen auf den russischen Angriffskrieg
Deutsche Dissonanz: Klare Bedrohungswahrnehmung, aber weniger Zustimmung zu verstärkter Unterstützung
Die deutsche Unterstützung für die Ukraine wird auf den ersten Blick weder von den Parteien der demokratischen Mitte noch in der breiteren Bevölkerung in Frage gestellt. Die jüngsten Umfrageergebnisse zeugen von einem klaren Bewusstsein innerhalb der deutschen Bevölkerung, dass ein russischer Sieg verheerende Folgen für die Ukraine und Europa hätte (Abbildung 1).[5] So befürchten 56 Prozent der Befragten weitere Angriffe Russlands auf andere Länder, sollte die Ukraine den Krieg nicht gewinnen. Damit schätzen die Deutschen dieses Risiko ähnlich hoch ein wie die Bevölkerungen in den anderen G7-Staaten.[6] 48 Prozent stimmen der Aussage zu, dass „Europa […] nur dann sicher sein [wird], wenn Russland den Krieg verliert.“ Nur 19 Prozent widersprechen. Hier liegt Deutschland im Vergleich zu anderen G7-Staaten im Mittelfeld. Beide genannten Aussagen finden parteiübergreifend Zustimmung, außer bei den Anhänger:innen der AfD. Die Anhänger:innen der Grünen haben mit Zustimmungswerten von 75 Prozent und 68 Prozent die ausgeprägteste Risikowahrnehmung, wohingegen bei Anhänger:innen der AfD mit 33 Prozent und 26 Prozent die Zustimmung am geringsten ist.
Die Zustimmungswerte nehmen allerdings rapide ab, sobald es um konkrete politische Maßnahmen geht, die sich aus der Bedrohungswahrnehmung ableiten (Abbildung 2). Waren im Mai 2022 noch 46 Prozent dafür, mehr Kriegsgeflüchtete als bislang aufzunehmen, sind es in der Umfrage von 2023 nur noch 25 Prozent. 32 Prozent sprechen sich dagegen aus. Eine ähnliche Entwicklung ist bei den Zustimmungswerten zur Frage, ob Deutschland mehr schwere Waffen als bisher liefern sollte, zu verzeichnen. Herrschte im Mai 2022 noch eine Nettozustimmung – die Differenz zwischen dem Anteil derer, die denken, Deutschland sollte mehr tun als es bereits tut, und dem Anteil derer, die denken, Deutschland sollte weniger tun – von +17, sind die Gegner von umfassenderen Lieferungen schwerer Waffen heute in der Überzahl.
Natürlich hat sich der Referenzpunkt, auf den sich die Frage nach verstärkter Unterstützung bezieht, seit Mai 2022 deutlich verändert. Im Frühling 2022 wurde noch debattiert, ob Deutschland überhaupt schwere Waffen in die Ukraine liefern sollte. Im Herbst 2023 hingegen drehte sich die Debatte um die Frage, mit welchen schweren Waffen die Ukraine unterstützt werden sollte. Auch hat die Bundesrepublik in absoluten Zahlen die meisten ukrainischen Geflüchteten in der EU registriert und 2.4 Mrd. Euro humanitäre Hilfe an die Ukraine geleistet.[7]
Dennoch fällt auf, dass die deutschen Zustimmungswerte zu verstärkter Unterstützung im internationalen Vergleich gering sind. In keinem anderen G7-Staat zeigt sich die Bevölkerung skeptischer gegenüber verstärkter humanitärer Hilfe oder der Aufnahme weiterer Kriegsgeflüchteter. Bei der Frage nach verstärkten schweren Waffenlieferungen und Sanktionen zeigen sich nur die Italiener:innen skeptischer als die Deutschen. Und nur eine knappe Mehrheit in Deutschland befürwortet einen EU- (+8) und NATO-Beitritt (+7) der Ukraine. Deutschland hat auch hier die geringsten Zustimmungswerte unter den G7-Staaten.
Sicht der Deutschen auf verschiedene Arten der Unterstützung für die Ukraine
Von Grünen bis AfD: Erhebliche Differenzen zwischen den Parteianhänger:innen
Über alle Parteigrenzen hinweg ist die Bereitschaft, die Ukraine stärker als bisher zu unterstützen, seit Mai 2022 mit wenigen Ausnahmen zurückgegangen. Doch eine nähere Betrachtung der Ergebnisse zeigt eindrückliche Meinungsunterschiede zwischen den Anhänger:innen der verschiedenen Parteien. Unterstützer:innen der AfD sind die größten Gegner:innen verstärkter Hilfen jeglicher Art für die Ukraine, während die der Grünen durchweg die stärksten Befürworter:innen sind. Anhänger:innen der CDU, der CSU, der Grünen und der SPD unterstützen umfassendere Waffenlieferungen als bisher (Abbildung 3). FDP-Anhänger:innen hingegen sind mit ihrer Nettoablehnung von -4 näher am Meinungsbild der Anhänger:innen der Linken (-16) als an denen anderer Parteianhänger:innen.
Große Differenzen herrschen auch bezüglich der verstärkten Aufnahme von Kriegsgeflüchteten Grünen-Anhänger:innen mit einer Nettozustimmung von +38 und AfD-Unterstützer:innen mit einer Nettoablehnung von -52 bilden die Pole des Spektrums. Aber auch Wähler:innen von CSU (-14), FDP (-7) und CDU (-1) sind dagegen, dass Deutschland in dieser Frage mehr als bislang tun sollte. Anhänger:innen der Linken (+2) und der SPD (+5) sind knapp dafür. Den Beitritt der Ukraine zur Europäischen Union unterstützen Anhänger:innen aller Parteien, außer der AfD, wenngleich auch hier die Zustimmungswerte deutlich gefallen sind.[8] Stärker als noch im Mai 2022 unterstützen die Anhänger:innen der CSU (+15) und der FDP (+33) in den jüngsten Umfragen einen NATO-Beitritt der Ukraine.[9] Bei CDU- (+20), SPD- (+27) und Grünen-Anhänger:innen (+44) ist die Zustimmung hingegen leicht zurückgegangen.[10]
Zeitenwendemüdigkeit?
Ein immer kleinerer Anteil der Bevölkerung ist dafür, die Ukraine stärker als bisher zu unterstützen. Bei aller geleisteten Hilfe für die Ukraine – und im Kontext aufziehender Verteilungskonflikte in Deutschland sowie mit Blick auf Krisen in anderen Weltregionen – mag das ein nachvollziehbarer Reflex sein. Dem gilt es aber entgegenzuwirken: Bereits die gegenwärtig dosiert bereitgestellten Mittel reichen nicht aus, um die Ukraine in die Lage zu versetzen, ihr Staatsgebiet vollständig zu befreien. Wie das Scheitern des Gesetzesentwurfs zum Grenzschutz und Hilfen für die Ukraine und Israel im US-Senat Anfang Februar zeigt, kann sich Europa nicht auf die fortwährende US-amerikanische Unterstützung verlassen.
Erschwerend kommt hinzu, dass Russland seine Rüstungsproduktion seit Kriegsbeginn deutlich ausgebaut hat, um die Ukraine doch noch zu besiegen oder zumindest zu zermürben, während die europäischen Bemühungen bislang überschaubare Ergebnisse zeigen.[11]
Sicht der Deutschen auf die Frage, ob Deutschland mehr schwere Waffen als bisher liefern sollte
Angesichts der sicherheitspolitischen Bedrohungslage muss Deutschland als größte Volkswirtschaft Europas eine größere Führungsrolle übernehmen und die Ukraine noch weitreichender militärisch und finanziell unterstützen. Alles andere käme Europa – und damit auch Deutschland – langfristig viel teurer zu stehen. Bei aller legitimer Kritik an unzureichenden Beiträgen anderer westeuropäischer Staaten sollte die Bundes-
regierung ihren Beitrag daher nicht an anderen Ländern, sondern am Ziel ausrichten, dass die Ukraine gewinnt. Es ist daher eine zentrale Aufgabe der Unterstützer:innen der Ukraine, der deutschen Bevölkerung die Botschaft zu vermitteln, dass ihr Land heute mehr denn je gefordert ist. Denn die Ära, in der die Bundesrepublik die Friedensdividende einstreichen konnte, ist vorüber – das ist die zentrale Erkenntnis der Zeitenwende.

Wer A sagt, muss auch B sagen – Die Widersprüchlichkeiten der Unterstützung in der deutschen Bevölkerung für die Ukraine
Leonard Schütte, „Wer A sagt, muss auch B sagen: Die Widersprüchlichkeiten der Unterstützung in der deutschen Bevölkerung für die Ukraine“, München: Münchner Sicherheitskonferenz, Munich Security Analysis 1, Februar 2024, https://doi.org/10.47342/GNMB4087.
Download PDF 126 KB- [1] Christoph Trebisch et al., „The Ukraine Support Tracker: Which Countries Help Ukraine and How?“, Kiel Institut für Weltwirtschaft, Kiel Working Paper 2218, Dezember 2023, perma.cc/4R22-UYEG.
- [2] Olaf Scholz, „Pressekonferenz von Bundeskanzler Scholz und Premierminister Frieden zum Empfang des Premierministers des Großherzogtums Luxemburg in Berlin am 8. Januar 2024“, Berlin: Bundeskanzleramt, 8. Januar 2024, perma.cc/C6WP-Z4NZ.
- [3] Olaf Scholz et al., „Letter: Call for a Collective Effort to Arm Ukraine for the Long Term“, Financial Times, 31. Januar 2024.
- [4] Can Merey, „Deutsche Gepard-Panzer im Krieg gegen Russland: ‚Das ist eine exzellente Waffe‘“, RedaktionsNetzwerk Deutschland, 2. Oktober 2023.
- [5] Die hier zitierte Umfrage ist Teil des Munich Security Index 2024 und basiert auf einer repräsentativen Stichprobe von 1.000 Personen. Die Befragung wurde zwischen dem 24. Oktober und 16. November 2023 durchgeführt. Details zur Methodik sind im Munich Security Report 2024 zu finden: Tobias Bunde, Sophie Eisentraut und Leonard Schütte (Hrsg.), Munich Security Report 2024: Lose-Lose?, München: Münchner Sicherheitskonferenz, Februar 2024, doi.org/10.47342/BMQK9457.
- [6] Nur Italien fällt mit 44 Prozent Zustimmung etwas ab.
- [7] Bruno Urmersbach, „Anzahl der registrierten Flüchtlinge aus der Ukraine in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union“, Statista, 16. Januar 2024, perma.cc/XC9W-P8RW.
- [8] Beispielsweise ist die Unterstützung bei CDU-Anhänger:innen von +52 auf +19 gefallen, bei Grünen-Anhänger:innen von +72 auf +40 und bei FDP-Anhänger:innen von +38 auf +13.
- [9] Bei CSU-Anhänger:innen wuchs die Nettozustimmung von +2 im Mai 2022 auf +15 im Oktober/November 2023, bei FDP-Anhänger:innen von +30 auf +33.
- [10] Im Mai 2022 herrschte eine Nettozustimmung von +22 bei CDU-Anhänger:innen, +32 bei SPD-Anhänger:innen und +50 bei Grünen-Anhänger:innen zu einem NATO-Beitritt der Ukraine.
- [11] „Can Europe Arm Ukraine – or Even Itself?”, The Economist, 14. Januar 2024.